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Was Medizinprodukte und Kosmetik unterscheidet

Veröffentlicht am 14.11.2020

"Medizinprodukte" – das klingt nach Wissenschaft und Wirkung. Doch haben sie tatsächlich effektivere Inhaltsstoffe und eine höhere Qualität? Die Antwort hierauf ist durchaus überraschend!

 

Für die Pflege der Haut, die unterstützende Prävention und die Therapie von Hautkrankheiten werden verschiedene Präparate und Zusammensetzungen verwendet. Sie reichen von Kosmetika über Medizinprodukte bis hin zu topischen (äusserlich angewandten) Arzneimitteln. Die Erfahrung zeigt, dass die Abgrenzung der Produktgruppen untereinander, was ihre Anwendung und Wirkung betrifft, häufig nicht eindeutig ist. Komplexe rechtliche Hintergründe, unterschiedliche Bezugsquellen und Werbung sind für die Anwender kaum durchschaubar.

 

Für die Haut erlaubt

Topische Medizinprodukte unterliegen der Medizinprodukteverordnung (MepV). Die Schweiz passt ihre gesetzlichen Grundlagen für Medizinprodukte den Entwicklungen in der EU an. Die Anpassungen im Schweizer Medizinprodukterecht erfolgen etappiert, ursprünglich hätten die vom Parlament am 22. März 2019 verabschiedeten Änderungen des HMG und des HFG sowie die Verordnungen per 26. Mai 2020 in Kraft gesetzt werden sollen. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Europäische Kommission am 25. März 2020 angekündigt, die vollständige Anwendbarkeit der MDR um ein Jahr zu verschieben. Der Inkraftsetzungstermin bleibt unverändert am 26. Mai 2022. Die Vernehmlassung zum Ausführungsrecht ist für den Sommer 2021 geplant. Topische Medizinprodukte sind eher eine Randgruppe. Die Kriterien für die Zugehörigkeit von Produkten zur Klasse I sind offiziell folgende:

  • keine methodischen Risiken
  • geringer Invasivitätsgrad
  • kein oder unkritischer Hautkontakt
  • vorübergehende Anwendung von ≤ 60 Minuten

Die Zweckbestimmung topischer Produkte der Klasse I fällt massgeblich unter die „Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten“. Es gibt noch weitere Zweckbestimmungen für Medizinprodukte, die aber in der Regel nicht auf die Hautbehandlungen mit Präparaten der Klasse I zutreffen. Zusammengefasst ist der unkritische Hautkontakt in Verbindung mit der Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten entscheidend für die Existenzberechtigung topischer Medizinprodukte.

Sie dürfen therapeutisch wirksam sein – allerdings nicht im pharmakologischen Sinne wie topische Arzneimittel, die Stoffwechselvorgänge und biologische Abläufe (in der Haut) hemmen, stimulieren oder in anderer Weise beeinflussen. Topische Produkte der Klasse I sind also mehr oder weniger darauf beschränkt, den physikalisch-chemischen Hautzustand so zu verändern, dass daraus ein therapeutischer Nutzen resultiert. Voraussichtlich werden mit der kommenden neuen Medizinprodukteverordnung (MepV). die Klassen neu definiert. Dadurch ändert sich aber sachlich nichts an den folgenden Ausführungen im Verhältnis zu Kosmetika.

Die in den Medizinprodukten verwendeten Inhaltsstoffe unterscheiden sich daher nur in Ausnahmen von den Zusammensetzungen der in der Verordnung des EDI über kosmetische Mittel (VKos) geregelten Hautpflegemittel. Denn diesen wird ebenfalls ein „unkritischer Hautkontakt“ unterstellt. Ergänzend werden in einem Anhang der Vkos Stoffe gelistet, deren Einsatz verboten ist. Darunter befinden sich viele Arzneistoffe.

 

Verbessern, nicht heilen

Zweckbestimmung von Kosmetika ist die Pflege der Haut und die Verbesserung der Hautkondition, aber nicht die Heilung und Linderung von Hautkrankheiten. In den Achtzigerjahren konnte man die bereits lange vorher bekannte Erfahrung klinisch nachweisen, dass Pflegestoffe einen grossen Anteil an der Linderung von Hautkrankheiten haben können. Es entstand der Begriff der Korneotherapie für die Anwendung geeigneter kosmetischer Stoffe bei topisch-medizinischen Indikationen. Der Unterschied von topischen Medizinprodukten der Klasse I zu ähnlich zusammengesetzten Kosmetika besteht lediglich darin, die Linderung und die Heilung ausloben zu dürfen.

 

Klinische Studien

Medizinprodukte werden eigenverantwortlich durch die Hersteller in Verkehr gebracht. Unter anderem werden ein Konformitätsbewertungsverfahren und bei topischen Präparaten klinische Tests vorausgesetzt, die bei Swissmedic beantragt und genehmigt werden und überwacht werden.

Bei den Tests handelt es sich z.B.um Doppelblindstudien nach einem festgelegten Reglement. Dabei werden die Präparate innerhalb einer Probandengruppe gegen Kontrollen und dem daraus resultierenden Einfluss auf eine medizinische Indikation (Hautanomalie, Hautkrankheit) physikalisch-chemisch verglichen.

 

Wirkung in Grenzen

Wenn ausreichende wissenschaftliche Literatur zur Wirkung von Inhaltsstoffen und deren Zusammensetzung vorliegt, kann ganz auf Tests verzichtet werden; es reicht dann die Vorlage einer Dokumentation. In vergleichenden Studien kann es vorkommen, dass nur Präparate-Handelsnamen genannt werden, aber nicht ihre Zusammensetzung zum Zeitpunkt der Studiendurchführung.

Topische Behandlungen mit Medizinprodukten oder Kosmetika schliessen in der Praxis indirekte Einflüsse auf die Hautphysiologie und den Stoffwechsel hautinterner Stoffe nicht aus. Letztlich dürfen sie aber keine systemischen (den ganzen Organismus betreffende) Effekte auslösen. Die Kontrolle darüber obliegt dem Hersteller. Die Funktion von Swissmedic besteht allein darin, die Massnahmen zu erfassen und zu verfolgen, um Risiken der Medizinprodukte zu minimieren.

 

Handel und Vertrieb

Topische Medizinprodukte der Klasse I sind weder rezept- noch apothekenpflichtig. Sie können also ausser in Apotheken auch in Supermärkten, Reformhäusern oder Kosmetikinstituten sowie online vertrieben werden. Die Voraussetzung für den Handel mit Medizinprodukten ist die Kennzeichnung mit dem CE-Zeichen. CE steht für „Conformité Européenne“ und stellt ein reines Verwaltungszeichen der EU dar. Das auf Etikett oder Verpackung sichtbare CE-Zeichen soll die Sicherheit, insbesondere die ordnungsgemässe Einstufung („Konformität“) in eine der genannten Risikoklassen bestätigen. Die Einhaltung der entsprechenden Anforderungen kann abhängig von der Risikoklasse durch eine „benannte Stelle“ wie z.B. der SKS – Stiftung für Konsumentenschutz – bestätigt werden.

Sowohl Medizinprodukte als auch Kosmetika können beim Vertrieb durch Apotheken mittels Pharmacode (Code 39) registriert werden. Der Pharmacode ist jedoch – was der Verbraucher in der Regel nicht weiss – nur ein Identifikationsschlüssel im Warenwirtschaftssystem der Apotheken und mit keinerlei Produkteigenschaften verbunden. Der Pharmacode (PZN) wird in Deutschland gern zur Werbung genutzt. In der Schweiz ist Publikumswerbung für Medizinprodukte, die nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen, verboten.

 

Kritische Inhaltsstoffe

Wie bereits angedeutet unterscheiden sich die Qualitätsanforderungen an die Wirkungsnachweise der Medizinprodukte ganz wesentlich von den streng regulierten Arzneimitteln (siehe am Schluss). Es empfiehlt sich daher, vor Kauf und Anwendung die Dokumentation und die referierte Literatur genauer zu studieren, sofern sie zugänglich sind.

Topische Medizinprodukte der Klasse I verwenden zwar meistens die gleichen Inhaltsstoffe wie Kosmetika, sind aber nicht durch Listen von verbotenen Stoffen oder deren eingeschränkter Nutzung reglementiert. So werden in diesem Bereich mitunter Stoffe verwendet, die in Kosmetika längst verboten sind (siehe Kasten S.45). So wird z.B. neben den konservierenden, eher harmlosen Parabenen in Ultraschallgelen (Chlor-)Methylisothiazolon verwendet, das ebenfalls ein potentes Kontaktallergen ist. Die Kosten der Herstellung sind entsprechend niedrig. Dies trifft auch für die Verwendung von steuerbegünstigtem Alkohol zu, der mit Weichmachern (Phthalsäureester) vergällt ist (Alcohol denat.). Benzylalkohol in Vaginalcremes ist ebenfalls nicht unüblich. Eine 5%ige Kalilauge zur Behandlung der aktinischen Keratose ist ein Gefahrenstoff, wird aber nicht als solcher deklariert. Manchmal findet man neben einer wohltuenden Beschreibung die Zusammensetzung nicht – oder sie erschöpft sich in Aussagen wie „enthält … sowie Emulgatoren, Gelbildner und Stabilisatoren“. Zum Teil wird auch nur beschrieben, was nicht enthalten ist.

 

Irreführende Aussagen

Die Werbung ist nicht selten fahrlässig – insbesondere in Online-Shops. So kommt es vor, dass die Abwesenheit von Parabenen behauptet wird, die bei näherer Betrachtung allerdings doch enthalten sind und mit einem MGDN-Zusatz noch getoppt werden. Der Kosumentenschutz hat mit Recht auf diese grundsätzlichen Mängel hingewiesen und vom Gesetzgeber eine Gleichstellung topischer Medizinprodukte mit Dermatika gefordert, um nicht nur die Qualität der Produkte, sondern auch die Qualität der Wirksamkeitsnachweise zu erhöhen und den Schutz der Verbraucher zu verbessern. Die zuständigen Behörden sind jedoch mit der komplexen Materie überfordert. So kommt es wegen der ungenauen gesetzlichen Rahmenbedingungen immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Abschliessend noch der Hinweis, dass Zahnpflegemittel, die tatsächlich zu den Medizinprodukten zu zählen wären, im allgemeinen als Kosmetika verkauft werden. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass viele Hautpflegeprodukte hinsichtlich ihrer Wirkung verkappte Medizinprodukte sind, denen nur die formale Dokumentation fehlt.

Kosmetische Produkte dürfen mit Bezeichnungen wie „med“, „medical“ oder „Dr.“ versehen sein. Eine medizinische Indikation darf jedoch nicht ausgelobt werden

Kosmetische Produkte dürfen mit Bezeichnungen wie „med“, „medical“ oder „Dr.“ versehen sein. Eine medizinische Indikation darf jedoch nicht ausgelobt werden

Medizinische Kosmetik – was ist erlaubt?

In Zusammenhang mit Produktbezeichnungen werden häufig Zusätze aus der medizinischen Terminologie entlehnt. Nach derzeitigem Stand sind:

  • die "medizinische", "dermatologische“"Hautpflege oder "dermokosmetische" Pflege weder unter Arzneimitteln noch unter Medizinprodukten, sondern unter kosmetischen Produkten einzuordnen.
  • Zusätze wie "medical", "med" sowie der "Dr." des Firmeninhabers sind im Produktnamen von Kosmetika erlaubt, solange nicht ausdrücklich eine medizinische Indikation ausgelobt wird.
  • Ähnliches gilt für Arzneistoffe: In Kosmetika sind z.B. antimykotische Wirkstoffe durchaus erlaubt, solange nur die Antischuppenwirkung beworben wird und nicht die Fusspilzbehandlung.

 

Wichtig zu wissen

  • Bei Medizinprodukten ist es nicht wie bei Arzneimitteln verpflichtend, in der Angabe der Zusammensetzung zwischen Wirkstoffen und Hilfsstoffen zu unterscheiden. Eine vergleichbare Deklaration nach INCI (absteigende Konzentration, einheitliche Codierung) analog den Kosmetika gibt es ebenfalls nicht. Und: Medizinprodukte sind nicht zwingend nach GMP (Good Manufacturing Practice) herzustellen.
  • Topische Medizinprodukte der Klasse I verwenden zwar meistens die gleichen Inhaltsstoffe wie Kosmetika, sind aber nicht durch Listen von verbotenen Stoffen oder deren eingeschränkter Nutzung reglementiert. Das führt dazu, dass in diesem Bereich mitunter Stoffe verwendet werden, die in Kosmetika längst verboten sind.

Ein Beispiel waren in der Vergangenheit Ultraschallgele, die das potente Kontaktallergen Methyldibromoglutaronitril (MDGN) als Konservierungsstoff enthielten. Noch heute gibt es vergleichbare Produkte wie Lotion für die Beine und Lotion für die Intimhygiene (Stand: 20.3.2020) mit diesem Stoff.

 

 

Autor:

Dr. Hans Lautenschläger studierte Chemie und Physik. Schwerpunkte seiner Tätigkeit bilden die Entwicklung und Anwendung von kosmetischen sowie von dermatologischen Präparaten. Nebenbei schreibt er auch für Fachmagazine.

KONTAKT:

koko@dermaviduals.de

 

 

Text: Hans Lautenschläger

Fotos: stock.adobe.com

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